Ausstellung entfaltet

Die Ausstellung entfaltet beschäftigt sich mit Fragen der Reinterpretation und Notation als Strategie zur Erhaltung und Vermittlung zeitbasierter Medienkunst.

Was bedeutet das im musealen Kontext, in Fragen der Präservierung? Wann sprechen wir bei einer Reinterpretation von einem neuen Werk? Welche Informationen sollte eine Notation beinhalten und in welcher Form sollten diese dargestellt werden?

Diese und anderen Fragen wurden im vorangegangenen Symposium entfalten im Dezember 2017 diskutiert und analysiert.

Die in der Ausstellung entfaltet von IMA Institut für Medienarchäolgie in Auftrag gegebenen gezeigten Arbeiten – Axel Stockburgers Reinterpretation Read my Lips von Gerda Lampalzers Translation aus 2003 und Seppo Gründlers Reinterpretation Whiteout von Richard Kriesches Blackout aus 1974, sowie die Notation der interaktiven Skulptur You Never Know von Hillevi Munthe und Elisabeth Schimana, entstanden in einem viertägigen Worklab der Künstlerinnen in Zusammenarbeit mit der Präservatorin Claudia Röck – sind mögliche Antworten auf diese Fragen. Dem gegenüber gestellt zeigt die Ausstellung Dokumentationen der zu reinterpretierenden Arbeiten Translation und Blackout, sowie die Skulptur You Never Know.

Programm

Read my lips (2018) | Axel Stockburger more

READ MY LIPS

Gerda Lampalzer’s Videoinstallation Translation aus dem Jahr 2003, nimmt die Idee zum Ausgangspunkt, dass in jeder menschlichen Sprache, auf der Ebene des gesprochenen Klanges, eine andere enthalten sein könnte. Um dieser Vorstellung nachzuspüren, wurden Konversationen mit vier nicht deutschsprachigen SprecherInnen durch das Mittel des digitalen Videoschnitts poetisch in deutsche Texte mit neuem Inhalt verwandelt.

4 HD Videos, 30:00 min

Die Reinterpretation von Gerda Lampalzers Translation verlagert dessen Konzeption auf die Ebene des Bildes, indem das Video der Sprecherin eines Textes in einer Sprache zum Ausgangspunkt für eine poetische Übersetzung durch Lippenleser, welche in anderen Sprachen sozialisiert wurden, gemacht wird.

Das Ausgangsmaterial für diese Übersetzung ist eine Auflistung künstlich geschaffener Sprachen, wie Esperanto und Volapük, oder Sprachen, die in Literatur und Medien vorkommen, wie etwa Klingonisch oder die fiktionalen Sprachen aus Tolkien’s Herrn der Ringe. Read My Lips versucht experimentell festzustellen welche möglichen Bedeutungen auf der Ebene des Phonetischen sich durch eine bestimmte Mundstellung ergeben könnten. Die Matrix der poetischen Übersetzung in Gerda Lampalzers Arbeit, die auf der Ebene der gesprochenen Sprache operierte und über den Schnitt Spuren im Videobild sichtbar machte, wird so verschoben, um die Möglichkeiten, die sich aus der Bildebene ergeben, zu erforschen. Gegenwärtige youtube Phänomene, wie das sogenannte “Bad Lip Reading”, aber auch die technologischen Entwicklungen AI gesteuerter lip reading Software, werden damit zum Hintergrund für diese experimentelle Anordnung.

Konzept, Kamera, Ton, Postproduktion: Axel Stockburger / Übersetzung: Lippenleser-Agentur Judith und André Harter, www.lippenleser.de / Schauspielerin: Brishty Alam / Sprecherinnen: Anna Ceeh, Marlene Maier, Emilia Lopez.
Produziert mit Mitteln des IMA Institut für Medienarchäologie. Dank an: Gerda Lampalzer, Elisabeth Schimana, Dariusz Kowalski, Kai Maier-Rothe.

lips lips

Reinterpretation von Gerda Lampalzer | Translation (2003) more

TRANSLATION

Inspirierende Idee für das Projekt „Translation“ war die Vorstellung, dass in jeder Sprache eine andere Sprache verborgen sein könnte. Zur Überprüfung dieser These wurden vier nicht deutschsprachige Personen (russisch, japanisch, spanisch, englisch) beim Sprechen in ihrer Sprache mit der Videokamera aufgenommen. Diese Gespräche wurden in einem Videoschnittprogramm in kleinste Einheiten – von Silben bis zu Einzellauten – zerlegt und wieder neu zusammengesetzt. Das Ergebnis waren deutsche Texte mit völlig neuer Bedeutung. Diese nun künstlichen Texte sind zu einer vierkanaligen Installation choreografiert, die auf vier im Quadrat angeordneten Leinwänden präsentiert wird. Die Protagonistinnen sprechen teils gleichzeitig, teils im Chor, teils miteinander, teils untereinander gemischt etc. und kreieren so ein poetisches Stück in Deutsch mit vier Akzenten. Ergänzt wird die Installation durch Bildmontagen aus den neuen Texten und ihren Rückübersetzungen in die jeweiligen Ausgangssprachen.

Mit: Sergey Panteleev, Rie Takahashi, Jorge Daniel Valencia, Kim Hogben.

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Whiteout (2018) | Seppo Gründler more

Whiteout – how near we are able to come to reality 2018
Reinterpretaion des Werkes Blackout – wie nahe kommt das Fernsehen an mich heran von Richard Kriesche (1974/75)

Was machen die Kommunikationsmedien, im speziellen ihre aktuelle Ausformung auch in Form von VR-Brillen, die in der Zwischenzeit an jeder italienischen Autobahnraststätte erhältlich sind, mit der Realität und der Kommunikation. Indem das Publikium VR-Brille und Kopfhörer benutzen muss, betritt es scheinbar den gleichen Raum und befindet sich wie in Richard Kriesches blackout in einem identitären Realitätszustand, diesmal noch deckungsgleicher, dennoch verschiedener als es nur sein könnte. Bei Passivität und Bewegungslosigkeit wird Weißes-Rauschen akustisch und visuell zugespielt.

Signaltheoretisch stellt das den einfachsten stochastischen Prozess dar. Dem über einige Minuten ausgesetzt, erlebt jedes Individuum den Ganzfeld-Effekt, Halluzinationen hergestellt durch die perzeptuelle Deprivation. Durch Bewegung können aus dem Rauschen verschiedene Frequenzbänder, Töne und Muster herausgeschält werden, sehr reduzierte Formen und Klänge. Damit steht es dem Publikum frei sich durch Passivität mit komplexen Halluzinationen zu bespielen oder durch Aktivität scheinbar rudimentäre Formen zu gestalten. In der aktuellen Installation sind zwei Versionen zu sehen. Einmal ein interaktives VR Programm für das Oculus RIFT SDK1, in dem weißes Rauschen sowohl auf der Ton- als auch der Bildebene durch die Kopfbewegungen moduliert wird, und ein Google Cardboard Prototyp, der das Cardboard als Brille/Projektionsfläche benutzt um ein Whiteout mit zugespieltem Rauschen zu modulieren. Der Ganzfeld Effekt sollte jeweils bei längerem ruhigen Konzentrieren auf das Rauschzentrum eintreten.

Wie Günther Anders in Die Antiquiertheit des Menschen schreibt, können die zum Tode Veruteilten wählen ob sie ihre Henkersmahlzeit süß oder sauer serviert haben wollen.

whiteout

Reinterpretation von Richard Kriesche | Blackout (1974) more

BLACKOUT – wie nahe kommt das fernsehen an mich heran 1974/75

der künstler stellte in dieser medialen live-aktion sich und allen beteiligten die frage: wie nahe kommt das fernsehen an mich heran? – was macht das kommunikationsmedium fernsehen aus wirklichkeit? – welche wirklichkeit entwickelt das „fernsehen“ aus dem „nicht-sehen“?

während der aufzeichnung der sendung trug der künstler eine schwarze augenbinde. das „nicht-sehen“ grenzte den künstler aus – er hat in einen für ihn imaginären raum hineingesprochen. gleichzeitig war es aber auch seine intention, das fernsehpublikum mit seiner situation des „nichts-mehr-sehens“ zu konfrontieren: im fernsehen nichts als einen schwarzen bildschirm auf sendung zu sehen. auf dieser elektronisch-medialen ebene – so kriesche – befänden sich erstmals rezipient und produzent, künstler und publikum in einem identen realitätszustand. im schwarzen bildschirm wäre die realität des produzenten in die realität der rezipientinnen und rezipienten transformiert worden. durch die aufhebung des abstandes zum visuellen erscheinungsbild zog sich das sichtbare in den elektronischen raum zurück [anmerkung: dies wurde nicht erreicht, da der kameramann der anweisung des künstlers, an ihn so nah heranzukommen, dass nur noch die schwarze augenbinde zu sehen gewesen wäre, nicht nachkam bzw. nicht nachkommen durfte.]

whiteout



You Never Know notiert (2017) | Elisabeth Schimana / Hillevi Munthe / Claudia Röck more

YOU NEVER KNOW NOTIERT

Die Künstlerinnen Elisabeth Schimana und Hillevi Munthe entwerfen in einer viertägigen Klausur gemeinsam mit der Präservatorin Claudia Röck, spezialisiert auf Softwarebased Art, eine Notation für die interaktive Skulptur You Never Know. Hard- und Software werden unter die Lupe genommen, Prozesse analysiert und in eine Metasprache transferiert, die auch in 10000 Jahren noch Bestand haben sollte. elise.at

»As I said, the fact, that you took the initiative to write a score for your artwork in contrast to a conservator documenting an artwork in a museum, gives the score/documentation a different significance.

You did a lot of research and trial and error for your artwork. I think, it is part of the artwork. Would you like somebody else to continue that research and within which scope? How much additional creativity would be allowed? For instance, I am assuming, that the metal frame and the textile should be preserved and only the electronic parts be replaced, if broken. I am also assuming, that the Arduinos could be replaced by DIY electronic boards of a different brand (but not a desktop or laptop computer). The music and muscle wire score you described on the righthandside of the poster has to be followed and cannot be changed. I am further assuming that the technology of the muscle wires is a significant property of your artwork and must not be replaced by a different technology. Although a lot of testing went into the power supplies, they are not a significant property of the artwork.

Another, more practical question is, whether – if an institution or a private person bought your artwork – they would be able to continue that research process in order to “preserve” or perpetuate your artwork (most museums would have difficulties, I presume, as they have different insititutional goals and as many of them are lacking the knowledge/skills).«

Claudia Röck, 25. Dezember 2017

You Never Know (2012-2015) | Hillevi Munthe / Elisabeth Schimana more

YOU NEVER KNOW

Die Skulptur ist ein taktiler, intimer Klangraum, dimensioniert für eine Person, und lädt ein sie zu betreten und zu berühren. Sie reagiert.

Form und Konzeption von You Never Know entspringen dem Nachdenken über Bewegung. Alle Teile sind flexibel. Der nicht ganz stabile Metallrahmen, die mit Shape-memory alloy Technologie (muscle wire) bewegte textile Haut, oder der über das Objekt fließende Sound. Gestickte Potentiometer und genähte Streichsensoren erlauben es den BesucherInnen mit dem Objekt zu interagieren.

Intime Räume sind bewegliche Räume, unvorhersehbar. So, you never know…

Konzeption: Hillevi Munthe & Elisabeth Schimana Textile Haut, Muscle Wire | Sensoren: Hillevi Munthe | Sound und Interaktion: Elisabeth Schimana | Metallarbeiten: Eskil Tin | Technische Betreuung: Norbert Math und Günther Schiebeck | Produktionsassistenz: Lea Basch

You Never Know ist eine Koproduktion von Atelier Nord, Oslo, und IMA Institut für Medienarchäologie, Hainburg
elise.at

you never know



  • Zeit: 12 01 2018 - 29 01 2018
    Ort: Medienwerkstatt Wien
    Eröffnung: 12 01 2018 19:00
    Ausstellung: Fr | Sa | Mo 14:00 - 18:00

Mit
Kuratorinnen: Gerda Lampalzer (AT) / Elisabeth Schimana (AT)
KünstlerInnen: Axel Stockburger (AT) / Seppo Gründler (AT) / Elisabeth Schimana (AT) / Hillevi Munthe (NO) / Claudia Roeck (CH)